„Aua, er hat mir weh getan!“ – Ein Streitgespräch über Linguistik
Liebe Mitschüler und Mitschülerinnen,
eben gerade hat es zur Pause geklingelt und alle Schüler sind zurück in ihre Klassen gestürmt. Nur Fritzchen und Max stehen noch auf dem Pausenhof. Sie haben sich gestritten, man kennt das ja… Als Fritzchen sich lautstark beschwerte mit den Worten, „Aua, er hat mir wehgetan“, kam die Lehrerin dazu. Es stellte sich heraus, dass Fritzchen hat Max zu Unrecht als „schwule Sau“ bezeichnet hat.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob Fritzchen wirklich damit recht hatte, dass er verletzt worden sei, allein durch Worte. Wie sich herausstellt, ist diese Frage tatsächlich gar nicht so leicht zu beantworten:
Gewisse Wörter können durchaus einen gewissen ausgrenzenden Charakter besitzen. Wenn jemandem Leid zugefügt wurde, so wurde ihm meist Gewalt angetan. In der semantischen Bedeutung überwiegt heutzutage eher der „violentia“-Aspekt, als der „potestas“-Aspekt. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass Sprache immer mehr eine größere „Verletzungsmacht“ erlangt, wie Elke Koch in ihrem Buch „Gewalt in der Sprache“ aufzeigt. Die Missachtung der Einzigartigkeit und Freiheit eines Individuums durch Sprache kann durchaus, nicht physisch verletzen, sondern psychisch. In der Tat haben Forschungen ergeben, dass die gleichen Schmerzareale des Gehirnes auch bei verbaler Verletzung aktiviert werden, wie sie auch bei körperlicher Verletzung aktiviert werden. Da der Mensch dazu neigt, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, neigt das Opfer dann meist selbst zur Aggression. Dies ist vor allem auch ein Grund, warum einige Diskussionen so schnell eskalieren und es wichtig ist, einen kühlen Kopf zu behalten. Besonders schwierig wird es insbesondere, wenn sich das Opfer in seiner Position nicht zur Wehr setzen kann, denn das kann Depressionen begünstigen.
Es besteht aber nicht nur ein Zusammenhang zwischen körperlicher und verbaler Gewalt, sondern auch einen Zusammenhang zwischen unserer Sprache und unseren Handlungen, wie man in Studien herausgefunden hat. Diese Verbindung ist laut Tests auch im Gehirn herausgefunden worden. Die gleichen kognitiven Prozesse werden sowohl beim Tun als auch beim Sprechen in Gang gesetzt. Ein Beweis für diese Aussage lieferte sogar der Philosoph John Langshaw Austin schon vor mehr als 50 Jahren, als er entdeckte, dass einige Wörter auch eine konkrete Handlung vorschreiben. Beispiele dafür wäre das „Ja!“ bei einer Trauung, Sanktionen oder der Kündigung.
Das Gesagte ist also ein Teil unseres Handelns und somit auch ein Teil unser Selbst. Ist unsere Sprache gewalttätig, sind wir es also auch. Ist unsere Sprache gegenüber einer gewissen Gruppe gegenüber abwertend, handeln wir gegenüber dieser auch nicht integrativ. Normalisiert sich eine ablehnende oder verletzende Sprache gegenüber gewissen Bevölkerungsgruppen, normalisiert sich so die Ausgrenzung dieser Gruppen. Daher ist es besonders wichtig, auf seinen Sprachgebrauch zu achten. In Reden bezüglich gewisser Themen kann man seiner Meinung dementsprechend Gehör verschaffen und andere von seinen Handlungen überzeugen. Ein besonderes Negativbeispiel dafür, wie man Hass- und Hetzreden als Machtinstrument einsetzen kann, ist Hitler. Hitler hat sich in seinen Reden nicht nur gegen einzelne Personen gestellt, sondern gleich gegen eine gesamte Volksgruppe, nämlich den Juden. Die jüdische Bevölkerung ist heutzutage immer noch ein wahrnehmbarer Teil der Bevölkerung und eine Ausgrenzung eines wahrnehmbaren Teils der Bevölkerung gilt als Hate Speech. Dieser Hate Speech muss nicht einmal so direkt sein, wie zur damaligen Zeit oder teils noch heutzutage mit antisemitischen und rassistischen Äußerungen wie „Ich bin dafür, dass wir die Gaskammern wieder öffnen und die ganze Brut da reinstecken“. Gewisse Ausdrücke im Deutschen wie die Reduzierung auf Stereotypen wie von unserem anfänglichen Beispiel „schwule Sau“ können auch schon als Hate Speech-Inhalt gelten. In unserem konkreten Fall handelte es sich um eine Gleichsetzung des Menschens mit einem – fälschlicherweise – als schmutzig angesehenem Tier. Es gibt aber auch verunglimpfende Verallgemeinerungen, Falschaussagen, Tarnung der Ironie oder eine Verschleierung durch positive Aussagen. Ein weiteres Beispiel für eine Verschleierung als Teil eines Hate Speech wäre passend zu unserer homophoben Aussage: „Mein Neffe ist ein super Mechaniker! Und ich dachte immer, Schwule wären nur gut in Frauen-Jobs“. Aussagen in diese Richtung sind also eher indirekt beleidigend als direkt, können aber immer noch Menschen verletzen. Die beleidigende Wirkung schlägt sich in weiteren Merkmalen wieder, wie dem Tonfall oder kann wie bei Graffiti mit einem gewissen Aussehen einhergehen. Eine großes und unsorgfältiges Grfitti drückt laut Tophinke Dynamik und Aggressivität aus. Einige grammatikalische Muster wie ein Substantiv mit einer Richtungsangabe kann genauso aggressiv wirken („Auslänger raus!“) oder das Weglassen des Personalpronomens („Raus hier!“), wo man mit einem indirekten „Du“ eine grenze überschreitet. Dabei wird eine klare Grenze überschritten, die sich bei einer persönlichen Diskussion von Auge zu Auge auch mal körperlich wiederspiegeln kann und es so auf unserem Schulhof zu Handgreiflichkeiten kommen kann.
Wenn jemand im Zuge einer Hassrede eine solche Äußerung tätigt, dann empfinden sie zumeist selbst Hass oder wollen wie Hitler diesen zumindest indoktrinieren und so führt selbst eine solch passive Äußerung zu einer aktiven Ausgrenzung. Dies sind jedoch nur Beispiele für Aussagen in einem Hate Speech und gelten losgelöst von einer Rede als Beleidigungen. Die Beleidigungen sind also stark vom Kontext abhängig. Dafür gibt es in der Sprache sogar Beispiele wie „Schwuchtel“ oder „Spast“
Heutzutage ist es aber leider fast normal, dass man sich beleidigt, insbesondere diejenigen, die uns nahe stehen. Sie sind eine Form des persönlichen Ausdrucks, da Sprache ein Teil unserer Selbst ist. Besonders Jüngere probieren sich unter Freunden aus und testen neue Beleidigungen und deren Grad der gesellschaftlichen Akzeptanz aus. Es ist laut Doris Tophinke sowohl Tabu und Faszinosum, mit der sogenannten „Gewaltästhetik“ zu spielen und sich auszuprobieren.
Diese Akzeptanz hängt laut Studien auch von der sozialen Schicht ab, in welcher man sich bewegt. Die Gewalt wird nämlich von unserer Kultur gefördert. Die Kinder kommen das erste Mal in Kontakt mit Beleidigungen mit ihren Eltern und zu Hause dominiert meist das informelles Sprachregister, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Durch weise Worte ist es hingegen möglich, durch Sprache Gewalt zu verhindern, als zu bestärken. Das beste Beispiel dafür ist die Demokratie, die durch diplomatische Prozesse und verbalen Konflikten versucht, das körperliche Leid, dass durch die Entscheidungsfindungen im Rahmen eines Staates in diktatorischen Regimen immer wieder auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird, zu verhindern.
Um zum Schluss auf unser Eingangsbeispiel wieder zurückzukommen können wir nun sagen, dass Fritzchen durchaus recht hatte, als er meine, Max hätte ihm mit seiner Beleidigung verletzt. Es ist also wichtig, wie wir mit anderen kommunizieren, welchen Slang wir wem gegenüber verwenden und wann wir manchmal vielleicht auch besser ein Wort runterschlucken sollten. Sprache kann nämlich nicht nur wie in einer Demokratie mit einer gesunden Debattenkultur wie wir sie hier im Klassenzimmer pflegen Gewalt verhindern, sondern wie man an Hitler gesehen hat, auch Gewalt fördern. Alles in allem wünschen wir uns doch eigentlich tief in uns drin einen freundlichen Umgang miteinander und einen gesunden Umgangston. Wenn ihr also das nächste Mal beleidigt werdet, so merkt euch bitte, dass eure Worte eine Wirkung haben und bollert nicht gleich zurück, sondern atmet lieber einmal tief durch, um den Anderen danach auf sein Verhalten hinzuweisen und angemessen zu reagieren.
In diesem Sinne, hoffe ich, dass ihr etwas aus meinem Vortrag mitnehmen konntet und in Zukunft alle aufeinander ein bisschen mehr Rücksicht nehmt. Seid euch über die Konsequenzen eurer Äußerungen bewusst und begegnet einander mit dem nötigen Respekt für ein gesundes Miteinander.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!
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